Samstag, 13. Juni 2009
Reisebericht Island Teil 3
Das Matratzenlager hatte sich am Abend bis auf den letzten Platz gefüllt. Die untere Etage ist von einer größeren Wandergruppe belegt worden. Ich entscheide mich daher, wieder früh aufzustehen, um mich zumindest beim Wandern dem Lärm der Horde zu entziehen. Von der Veranda der Hütte kann ich einen großen Teil der heutigen Etappe überblicken. Der mit gelben Pflöcken gut markierte Weg führt über ein welliges Plateau mit einer Vielzahl von Schneefeldern. An einigen Einbruchstellen erkenne ich, dass der Schnee, der aufgrund der Höhenlage selbst im Sommer nie ganz schmilzt, mehrere Meter hoch liegt. Auf der Paßhöhe an der Thermalquelle Kaldaklöfsfjöll bietet sich der erste Blick auf das Tagesziel, den See Alftavatn. Das Tal unterscheidet sich beträchtlich von den bisher gewohnten bunten Rhyolithbergen. Aus der Ferne hat es wahrhaft paradiesische Züge. Ein sattes, vom Moosbewuchs stammendes Grün überzieht die Berge aus dem Vulkangestein Palagonit. Diese Landschaft entstand durch subglaziale - also unter dem Eis stattfindende - Vulkanausbrüche und kam erst durch den Rückzug des riesigen Gletschers Myrdalsjökull an die Oberfläche. Trotz des grandiosen Anblicks ist der Abstieg aus der Hochebene anstrengend. Auf dem umgekehrten Weg muß dies eine Schlüsselstelle der Wanderung sein. Am Fuße des Berges angekommen setze ich kurz den 22 kg schweren Rucksack ab und tanke an einem glasklaren Fluß Wasser nach. Dann mache ich mich auf den nicht mehr weitem Weg über eine Grasebene zum Alftavatn. Die dunkle Wolke, die mich in der vergangenen Stunde in gebührender Entfernung begleitete, kommt nun bedrohlich nahe. Ich bin froh, die Hütte endlich zu erreichen. Kurz nach mir kommt der italienische Wanderer an, den ich schon gestern auf der ersten Etappe getroffen hatte. Die Hütte gefällt uns beiden nicht. Sie wirkt etwas kalt und ungastlich. Nach kurzem Informationsaustausch beschließen wir daher, noch gut 3 km weiter zu der von der südisländischen Kleinstadt Hella unterhaltenen Hütte Hvanngil (Engelswurzschlucht) zu laufen. Das Wetter wird schlechter. Es regnet zwar nicht, aber ich habe das Gefühl in einer Wolke zu laufen. Die Feuchtigkeit kommt aus allen Richtungen und schließlich auch von unten, denn jetzt gilt es nach den bisherigen vielen kleinen Bächen die erste nennenswerte Furt zu bewältigen. Ich wechsle die Schuhe, verstaue Wanderstiefel und Socken in einer Plastiktüte und mache mich auf den Weg durch den klaren, ca. 40 cm tiefen Bach. Das Wasser ist zwar kalt, aber irgendwie habe ich mir das schlimmer vorgestellt. Wenig später komme ich in Hvanngil an und beziehe in der nagelneuen Hütte Quartier. Nach und nach treffen einige Wanderer ein, so dass sich an diesem Abend eine muntere, isländisch, englisch, holländisch und deutsche Runde ergibt. Der Brite hatte heute viel Pech gehabt und sich bei dem steilen Abstieg ein Knie verletzt. Das wird wahrscheinlich das Ende der Tour bedeuten. Als die Hüttenwärterin - eine ausgebildete Physiotherapeutin - ihn verarztet, bestätigt sie das umhergehende Gerücht über einen amerikanischen Wanderer, der vor wenigen Tagen nahe Landmannalaugar die Orientierung verlor und an Unterkühlung und Erschöpfung starb. Auch angesichts des jetzt draußen peitschenden Regens und des heulenden Sturmes begeben wir uns alle etwas nachdenklich zur Nachtruhe.
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