Die Vorabendhoffnungen auf besseres Wetter werden schon beim Aufwachen von dem nach wie vor heftigen Sturm weggefegt. Niemand hat es heute morgen eilig. Die gemütliche Frühstücksrunde will sich nicht so richtig auflösen. Wer will sich schon dem Dauerregen aussetzen? Ich versuche das Beste daraus zu machen, ziehe die Regenkleidung an und mache mich auf den Weg. Das kleine Lavafeld hinter der Hütte ist zügig überquert. Danach wartet ein Stück Jeeptrack auf mich. Ich will die miese Wetterstimmung in einem Foto festhalten, packe die Kamera aus, visiere Regen, Nebel und braune Pfützen an, löse aus, verpacke den Apparat wieder wasserdicht, blicke auf und traue meinen Augen nicht: Gerade noch betrug die Sichtweite 100 m. Jetzt sehe ich die weit entfernten Gletscher im Süden im Sonnenlicht glänzen. Ich erinnere mich an ein isländisches Sprichwort, das besagt, man solle eine Viertelstunde warten, wenn einem das Wetter nicht gefällt. Sofort bessert sich meine Laune. Auch die Furt durch den breiten Gletscherfluss mit seinem eisigen Wasser macht mir nichts aus. Nach diesem feuchten Vergnügen der besonderen Art beginnt jetzt der Weg durch die wüstenhafte Mondlandschaft des Maelifellssandurs, einer der Sandablagerungsflächen des Myrdalsjökulls. Die Verwehungen des feinen - hier allerdings schwarzen - Sandes erinnern mich an Nordseedünen. Langsam schiebt sich der Kegelvulkan Hattafell, der seinem Namen „Hutberg“ wirklich alle Ehre macht, in den Vordergrund. Ein kurzer Blick auf die Karte sagt mir, dass es bis zur Hütte Botnar nicht mehr weit sein kann und hinter dem nächsten Buckel liegt sie auch schon vor mir. Den malerischen Hintergrund für mein Erinnerungsfoto bildet eine traumhafte Berg- und Gletscherkulisse. Der Hüttenwart weist mir mein Nachtlager zu und gibt mir noch einige Tips für eine Nachmittagswanderung. Den Weg könne ich nicht verfehlen. Immer den Jeepspuren in Richtung des großen Steinmännchen solle ich laufen und werde dann schon sehen. Er hat mir nicht zuviel versprochen. Nahe Botnar hat der tosende Gletscherfluß Markarfljot einen grandiosen Canyon geschaffen. Bis zu 180 m tief ist die Schlucht. Die verschiedenen Gesteinsschichten, die das Wasser im Laufe der Zeit freilegte, schimmernd kunterbunt in der Sonne. Möwen ziehen elegant ihre Kreise. Viele kleine Quellflüsse stürzen sich über hohe Wasserfälle in die Tiefe. Ich wandere stundenlang am Rand des Canyons entlang, kann mich kaum von dem Anblick losreißen. Schließlich suche ich doch wieder die Hütte auf. Ich will mich noch mit meinem italienischen Wanderkollegen austauschen, ob die morgige Etappe nach Thörsmörk die letzte sein soll oder ob wir weiter an die Südküste laufen sollen.
Unter strahlend blauem Himmel folge ich am nächsten Morgen wieder einmal den gelben Pflöcken, die mich diesmal abwärts führen. Kurz hinter der Hütte wird der Weg so steil, dass er nur mit Hilfe von Stahlketten, die an den Felsen angebracht wurden, zu bewältigen ist. Von Osten vom Gletscher Myrdalsjökull donnert der Schmelzwasserfluss Fremri-Emstruá heran. Er ist mit einer schmalen Fußgängerbrücke überspannt. Das Furten dieser reißenden graubraunen Brühe wäre an dieser Stelle auch unmöglich. Auf den nächsten Kilometern wechseln sich die Gletschersanderflächen und kleinere Schluchten ab. Schließlich stehe ich doch noch vor einem Fluss ohne Brücke, der Thröngá, die gar nicht so gefährlich aussieht, wie sie mein Reiseführer beschreibt. Die Furt erweist sich aber doch als etwas härterer Brocken. Das Wasser ist mehr als knietief und drückt mich spürbar zur Seite. Ich verliere fast den Halt, kann mich aber zum Glück auf meine Wanderstöcke stützen. Konzentration auf die wichtigsten Regeln beim Durchwaten von Flüssen ist gefragt: kleine Schritte, Füße nur leicht anheben, wegen der Schwindelgefahr nicht aufs reißende Wasser blicken. Es gelingt mir, das andere Ufer wohlbehaltener zu erreichen, als eine Niederländerin, die wenig später in den Fluß stürzt und sich erhebliche Schürfwunden zuzieht.. Das Gebiet der Thörsmörk ist jetzt erreicht, und der Weg verschwindet in „Thors Wald“ aus Krüppelbirken. Der Kontrast zu der Felsen-, Lava- und Sandlandschaften der letzten Tage kann kaum größer sein, denn ein richtiger Waldspaziergang ist auf Island mangels Masse ein wirklich außergewöhnliches Erlebnis. Vor der Hütte in Langidalur mache ich eine kurze Pause. Mein italienischer Wanderfreund trifft ein. Vor dem Hintergrund des immer noch stahlblauen Himmels entscheiden wir uns, am nächsten Tag die Königsetappe nach Skoga zu laufen. Die Hüttenwartin in Básar bietet uns an, sich über das bevorstehende Wetter zu erkundigen.
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